Forstwirtschaft und Naturschutz – nehmen die Spannungen wieder zu?

Im produktiven Sihlwald bei Zürich wird auf eine Holznutzung bewusst verzichtet.

17. Januar 2018 – Einiges deutet derzeit darauf hin, dass die Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen den Förstern und den Naturschützern wieder zunehmen. Der Konflikt ist nicht neu. Gehen die Wogen wieder einmal hoch, so ist es hilfreich, sich an einen klugen Aufsatz von Hansjürg Steinlin zu erinnern. Der Schweizer Forstwissenschaftler wirkte und lehrte an der Universität in Freiburg im Breisgau und war unter anderem auch für die Welternährungsorganisation FAO in Rom tätig. Am Ende des Studiums halfen mir die präzis formulierten Gedanken Steinlins zu verstehen, weshalb das Verhältnis von Förstern und Naturschützern nicht immer einfach ist und was für ein besseres Einvernehmen nötig wäre. Der Titel des Aufsatzes lautet: Forstwirtschaft und Naturschutz – Spannung oder Ausgleich?
(Quellenangabe am Schluss des Artikels)

Zu erwähnen ist zuerst die zwar banale, aber eben wichtige Aussage, dass es weder die Forstwirtschaft gibt noch den Naturschutz. Selbst in der Schweiz ist die Palette recht breit. In Europa ist die Bandbreite noch grösser, und noch einmal vielfältiger präsentiert sich die Situation, wenn wir die ganze Welt betrachten.

Forstwirtschaft und Naturschutz folgen einem grundsätzlich anderen Ansatz. Laut Steinlin ist unter Forstwirtschaft die menschliche Tätigkeit zu verstehen, Waldökosysteme in einen Zustand zu bringen oder in einem Zustand zu erhalten, in welchem diese Ökosysteme bestimmte menschliche Bedürfnisse nach Gütern und Dienstleistungen nachhaltig erfüllen können. Und dazu zählt selbstverständlich auch der Schutz und die Pflege von Natur und Landschaft. Der Naturschutz hingegen fokussiert in erster Linie darauf, freilebende Tiere, Pflanzen und Organismen samt ihren Lebensgrundlagen zu erhalten und fördern.

Eine «andere» Nutzung: Der Seelensteg bei Heiligkreuz (LU) führt durch ein Naturwaldreservat.

Manchmal lassen sich die Ziele von Forstwirtschaft und Naturschutz problemlos kombinieren; in gewissen Fällen bedingen sie sich sogar gegenseitig. Es gibt aber auch Situationen, wo beides gleichzeitig nicht möglich ist. Diese Ausgangslage führt dazu, dass Kompromisse nötig sind. Es bedarf somit einer klugen Politik, die den gesellschaftlichen Bedürfnissen sowie den Anliegen der Waldeigentümer Rechnung trägt und einen Ausgleich ermöglicht.

In der Schweiz ist die Ausgangslage vergleichsweise gut. Der Wald hat in der Bevölkerung einen hohen Stellenwert. Dieses Wohlwollen gilt es zu nutzen. Auf beiden Seiten des Spektrums gibt es immer wieder vorpreschende Stimmen: Die einen plädieren für eine stärker auf den Holzmarkt ausgerichtete Forstwirtschaft, andere wollen deutlich mehr Naturschutz im Wald. Die teils extremen Haltungen an den Polen beleben die Diskussion. Es besteht kein Grund zur Sorge, solange genügend Personen, die beiden Sichtweisen etwas abgewinnen können, sich in der Mitte bewegen und moderierend wirken. Kritisch wird es erst, wenn diese Schnittmenge marginalisiert und von den Polen aufgerieben wird.

In Deutschland gibt es Anzeichen, dass sich die Fronten verhärten. Ein Beispiel dafür ist der Streit über den Anbau der Douglasie, der ziemlich ideologisch geführt wird. Immerhin rauften sich Vertreter der obersten Naturschutzbehörde und der Forstwissenschaft zusammen und einigten sich auf gemeinsame Grundsätze. Ob der Kompromiss hält, muss sich zeigen. Auch über einen dritten Nationalpark in Bayern wird heftig gestritten.

Noch höher gehen die Wogen in Polen. Dort geht es um die letzten Relikte des europäischen Flachlandurwaldes an der polnisch-weissrussischen Grenze in Białowieża (vgl. NZZ am Sonntag). Im Kern des Streites geht es um die Frage, wie gross der Nationalpark dort sein soll, welche Regeln im Unesco-Weltnaturerebe gelten sollen und ob der Borkenkäfer, der viele Fichten befällt, bekämpft werden darf. Der Streit wird nicht nur zwischen Polen und der EU ausgetragen, er entzweit auch Polen und die Region. Auf der einen Seite steht offenbar ein Grossteil der Förster, auf der anderen die «Ecologists», zu denen sich viele Wissenschaftler und Naturschützer zählen (auf welcher Seite die polnischen Forstwissenschaftler stehen, ist nicht so klar …). Offenbar ist die Schnittmenge sehr klein geworden, was zur Folge hat, dass sich zwei nahezu unversöhnliche Lager gegenüberstehen.

Für das Verständnis des Konfliktes ist zudem aufschlussreich zu wissen, dass der bestehende Nationalpark auf der polnischen Seite vor einigen Jahren praktisch auf die gesamte Waldfläche hätte ausgedehnt werden sollen. Doch die Förster und die Bevölkerung leisteten Widerstand. Stattdessen wurden weitere Waldflächen ausserhalb des Nationalparks geschützt und 2014 entstand auf Antrag von Polen und Weissrussland das länderübergreifende Unesco-Weltnaturerbegebiet. Dieses umfasst den ganzen Waldkomplex und unterteilt den Wald in Zonen mit unterschiedlich starken Einschränkungen. Nun dreht die neue polnische Regierung das Rad zurück. Der Zickzack-Kurs der polnischen Regierungen sowie nicht eingehaltene Versprechungen dürften bei der Bevölkerung wohl kaum das nötige Vertrauen geschaffen haben.

Aber auch in der Schweiz läuft es harzig. Im Herbst 2016 hatte der Parc Adula als neuer Nationalpark an der Urne keine Chance. Die nächste Gelegenheit bietet sich im Verlauf dieses Jahres: Acht Tessiner Gemeinden befinden über den Parco Nazionale del Locarnese. Wird auch dieser abgelehnt, dürfte es in der Schweiz für längere Zeit keinen weiteren Nationalpark geben. Könnte ein Grund für die Skepsis darin liegen, dass den Menschen das Vertrauen in die Zentralregierungen von Bund und Kantone fehlt? Sollte man zuerst vielleicht ernsthaft über das Verhältnis von städtischen Gebieten und Randregionen nachdenken? Eine kluge Politik und ein Dialog auf Augenhöhe ist eben auch bei uns in der Schweiz mehr denn je gefragt.

 

Langversion dieses Artikels:
Ein Essay über Forstwirtschaft, Naturschutz, Schutzgebiete und Gräben in der Gesellschaft (.pdf-Dokument)

Artikel in der NZZ am Sonntag vom 24. Dezember 2017: Der älteste europäische Urwald lebt (noch)
Textversion mit einer Übersichtskarte und den Zonen des Weltnaturerbes (.pdf-Dokument)

Quellen und Literatur:

Hansjürg Steinlin: Forstwirtschaft und Naturschutz – Spannung oder Ausgleich. Schweiz. Zeitschrift für Forstwesen, 1984, Heft 2.
Download ETH-Bibliothek
Webseite der Unesco über Bialowieza (inkl. Bericht der Unesco-Experten)
Thomas N. Bohn et al: Wisent-Wildnis und Welterbe – Geschichte des polnisch-weissrussischen Nationalparkes von Bialowieza, 2017
Vortrag von Thomas N. Bohn

 

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