Die Jagd auf den Wolf – eine kluge Politik sähe anders aus

Ein Wolf im Tierpark Langenberg mit gefiederten Zaungästen.

31. Januar 2024 – Die Jagd auf den Wolf ist für diese Saison beendet. Laut den Naturschutzorganisationen sind in letzten zwei Monaten rund 50 Wölfe erlegt worden. Die meisten davon im Wallis und in Graubünden. Noch vor einem Jahr war ein solches Szenario kaum vorstellbar.

Die Situation ist wieder einmal verkachelt. Nachdem das Parlament das Jagdgesetz im Dezember 2022 angepasst, der Bundesrat die entsprechende Verordnung im Eiltempo nach einer nur wenige Tage dauernden Konsultation erlassen und die Kantone entsprechende Gesuche eingereicht hatten, die durch das Bundesamt für Umwelt mehrheitlich bewilligt wurden, begann Anfang Dezember die Jagd auf den Wolf. Die Emotionen gehen hoch, die Fronten sind verhärtet. Mit der Folge, dass jetzt die Gerichte am Zug sind. Wie konnte es soweit kommen?

Blenden wir zurück: Im September 2020 fand nach einem emotionalen Abstimmungskampf die Abstimmung über das revidierte Jagdgesetz statt. Die Naturschutzorganisationen und ihre Verbündeten lehnten die Vorlage ab. Land- und Alpwirtschaft sowie grosse Teile der Jagd waren dafür. Ländliche Regionen und Gebirgskantone waren mehrheitlich dafür, Städter mehrheitlich dagegen. Das Ergebnis: Eine relativ knappe Mehrheit der Bevölkerung war dagegen, eine deutliche Mehrheit der Stände jedoch dafür. Und weil bei einem Referendum nur das Volksmehr zählt, war die Vorlage gescheitert. Mehrere Gräben und Verwerfungen wurden deutlich sichtbar.

Was lief schief? Die Vorlage wurde vom Parlament angereichert mit einigen umstrittenen Punkten. Dies führte zusammen mit der vorgesehenen Verlagerung von Kompetenzen bei der Regulierung des Wolfs vom Bund hin zu Kantonen zum Absturz an der Urne. Vergessen wurde dabei jedoch, dass die Kantone nicht einfach frei schalten und walten hätten können, sondern nur im Rahmen der bundesgesetzlichen Vorgaben.

Ein kräftiges Tier.

Nur ein Jahr nach der Abstimmung folgten 2021 und 2022 zwei schwierige Alpsommer, vor allem in Graubünden. Mehrere Wolfrisse sorgten für Schlagzeilen. Die Wölfe des Beverin-Rudels griffen auch einen Esel und Rinder an. Der Ständerat nahm das Heft in die Hand und lancierte eine parlamentarische Initiative, die sich auf die unbestrittenen Punkte der gescheiterten Revision beschränken sollte. Die Vorlage wurde im Parlament nach intensiven Debatten verabschiedet. Das von kleineren Organisationen angestrengte Referendum kam mangels Unterschriften nicht zu Stande.

Dann wurde aufs Tempo gedrückt. Bei der Ausarbeitung der Verordnung entschied das zuständige Departement von Bundesrat Albert Rösti, diese zu etappieren. Die Anpassungen zur Wolfsregulierung sollten vorgezogen und befristet bereits per 1. Dezember 2023 in Kraft gesetzt werden (der Abschuss von Wölfen ist laut Gesetz nur im Dezember und Januar erlaubt), während die weiteren Punkte der Gesetzesrevison, etwa die Wildtierkorriodore, erst nach einer ordentlichen Vernehmlassung im Frühjahr 2025 in Kraft treten würden. Dabei sollen die Organisationen und Verbände nachträglich doch noch Gelegenheit bekommen, zur vorgezogenen Wolfsregulierung ausführlich Stellung nehmen zu können, die dann zusammen mit den anderen Punkten definitiv in Kraft treten könnte.

Anfang September sickerte durch, was Albert Rösti in die Verordnung schreiben wollte. Falls die Kantone wollen und es begründen können, so wäre eine präventive Reduktion von den 30 existierenden Rudeln auf 12 grundsätzlich möglich. Sämtliche fünf Kompartimente müssen je nach Grösse mindestens zwei bis drei Rudel umfassen. Bisher war stets von rund 20 Rudeln in der Schweiz die Rede, die nötig sind, um die Alpenpopulation der Wölfe langfristig zu erhalten (Bericht Kora, Seite 54, Interview mit Reinhard Schnidrig). Später erfuhr man, dass die Zahl der minimal zu erhaltenden Rudel sich an den 12 existierenden Rudeln zum Zeitpunkt der Volksabstimmung im September 2020 orientierte.

Die Verordnung, die dann auch so in Kraft trat, rief kontroverse Reaktionen hervor. Die alp- und landwirtschaftliche Seite sowie die Landwirtschaftsdirektorenkonferenz (LDK) der Kantone befürworte sie, während Naturschutzorganisationen und auch die Konferenz für Wald und Wildtiere (KWL) der Kantone diese sehr kritisch beurteilte. Der Präsident der KWL, der Obwaldner Regierungsrat Josef Hess, nahm gegenüber dem Club von SRF dazu Stellung. Zusätzlich zum zu tiefen Schwellenwert, um die Wolfspopulation zu erhalten, betonte er auch, dass die Verordnung bei der Bergbevölkerung Erwartungen wecken könnte, die nicht erfüllbar seien. Pikanterweise sitzen in der LDK und KWL zum Teil die gleichen Personen der Kantonsregierungen. Die Naturschutzorganisationen kritisierten die Verordnung als «frei von Fakten und Logik» (Medienmitteilung). Sie appellierten an die Kantone «auf der Basis von Fachkompetenz, Ausgewogenheit und Verhältnismässigkeit zu agieren». Die Candid Specialist Group der International Union for the Conservation of Nature (IUCN) wählte in ihrem Brief an den gesamten Bundesrat ebenfalls deutliche Worte: «The current wolf management plan of the Swiss government based on the recently revised hunting law is unscientific and contradicts the latest science around contemporary carnivore management and nature protection.» Die kleine Gruppierung CHWolf sieht gar die Berner Konvention verletzt und reichte Beschwerde in Strassburg ein.

Die nächsten Schritte: Die Kantone Graubünden, Wallis, Waadt, St. Gallen und Tessin reichten beim Bund Gesuche ein für eine präventive Regulation von Wolfsrudeln. Das BAFU bewilligte die meisten Gesuche. Der Weg schien damit frei für die Entfernung von 12 der 30 Rudel. Die Jagd begann am 1. Dezember 2023, wurde wenige Tage später teilweise aber gestoppt, weil die Naturschutzorganisationen beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde gegen mehrere Abschussverfügungen einreichten (Medienmitteilung). Bis zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts dürfen die strittigen Wölfe nun nicht abgeschossen werden.

Jungwölfe beim Spielen.

Das Schlamassel ist angerichtet. Eine kluge Politik sähe anders aus. Oder nimmt Bundesrat Rösti eine Eskalation bewusst in Kauf? Die Folgen sind nicht absehbar. Die Stimmung ist schlecht, und wichtige andere Vorhaben, etwa zum Schutz und der Förderung der Biodiversität und der Ökologischen Infrastruktur, kommen nicht richtig vom Fleck. Gesetzesvorlagen im Parlament scheiterten jüngst. Die Biodiversitätsinitiative der Umweltorganisation soll vors Volk kommen. Mit höchst ungewissem Ausgang. Der nächste Scherbenhaufen ist kaum mehr zu vermeiden.

Aus rechtsstaatlicher Sicht ist es zweifellos zu begrüssen, dass die von UVEK-Chef Rösti dem Bundesrat vorgeschlagene Verordnung von den Gerichten auf ihre Gesetzmässigkeit überprüft wird. Spannend wird sein, ob die Richterinnen und Richter sich auch zur Vereinbarkeit mit der Berner Konvention äussern.

Ungeachtet dessen bewegt sich auch die EU bezüglich dem Schutzstatus des Wolfs. Mit möglichen Auswirkungen auf die Berner Konvention, die den Wolf als streng geschützte Art führt. Am 20. Dezember 2023 gab die EU-Kommission bekannt, dass sie aufgrund der neuen Datenlage zu den wachsenden Populationen und ihren Folgen den internationalen Status von «streng geschützt» zu «geschützt» herabstufen möchte. Nun beginnen die Diskussionen in den Ländern.

Noch im November 2022 lehnte der Ständige Ausschuss der Berner Konvention einen Antrag der Schweiz auf Herabstufung des Wolfschutzes ab. Das Ergebnis war sehr deutlich, aber eben nur, weil die EU in dieser Sache mit einer Stimme spricht. Dabei gibt es EU-Länder, die den Schutzstatus sehr wohl senken möchten. Frankreich will beispielsweise den Wolfsbestand nicht mehr weiter anwachsen lassen (die französischen Alpen weisen im Vergleich zu anderen Alpenregionen eine hohe Rudeldichte auf). Die EU-Kommission kam mit ihrer Entscheidung einem Auftrag des EU-Parlaments nach. Nun könnte Dynamik in die Sache kommen. Viele Fachleute sehen den Wolf auf europäischer nicht mehr als gefährdete Art. Auf regionaler Ebene, etwa im Alpenbogen, kann es aber anders aussehen (vgl. dazu den Bericht des Europararts). In den einzelnen Ländern ist ein differenzierter Blick nötig. Und eine Koordination über die Ländergrenzen hinweg.

Auf dem eis herumrutschen macht Spass.

Wölfe sind faszinierende Tiere. Ich beobachte in den letzten Wochen die Wolfsfamilie im Tierpark Langenberg mehrere Male. Die Fotos stammen von diesen Besuchen. Von unseren Vorfahren einst verehrt, wurden die Wölfe in Mitteleuropa gnadenlos ausgerottet. In den letzten zwanzig Jahren wanderten sie wieder ein. Das war möglich, weil die Tiere einen strengen Schutz hatten. Die Wiederbesiedlung und gegenwärtig starke Vermehrung ist ein Erfolg für den Naturschutz und für alle, die sich etwas mehr Balance und natürliche Interaktionen in unseren Ökosystemen wünschen. Die Präsenz der Grossraubtiere ist eine Chance. Die Entwicklung bringt aber zahlreiche Herausforderungen mit sich. Die Angriffe auf Nutztiere, zum Teil trotz Herdenschutz, ohne den es vielerorts nicht mehr geht, sind ernst zu nehmen. In den letzten Jahren wurde aber auch offenkundig, dass in der Nutztierhaltung eben auch nicht alles gut läuft. Mehr Ehrlichkeit auf allen Seiten würde gut tun.

Anders als in früheren Zeiten, wo Wolfsangriffe auf Nutztiere existenzielle Folgen haben konnten, sollte heutzutage eine Koexistenz der Alpwirtschaft mit dem Wolf möglich sein. Die gegenwärtige Politik befördert dies jedoch kaum. Eine konstruktive Politik sähe anderes aus. Es muss einen Weg geben, der den Anliegen der Berggebiete und Nutztierhaltenden Rechnung trägt und die Naturschutzorganisationen nicht dazu zwingt, den Weg über die Gerichte einzuschlagen. Doch diese Chance ist vorerst leider vertan worden.

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