Historische Trockensteinmauern zum Schutz vor Lawinen

Lawinenschutzmauer oberhalb von Airolo TI.

27. Februar 2020 – Auf einer eindrücklichen Wanderung im Oktober 2017 vom Gotthardpass Richtung Lago Ritom fielen mir zum ersten Mal Lawinenschutzbauten aus Trockensteinmauern und Erdterrassen auf. Sie waren unübersehbar. Tief unten im Tal lag Airolo (Foto). Also müssten diese Mauern die Häuser von Airolo vor der Vallascia-Lawine schützen. Die gefürchtete Lawine zerstörte 1951 eine ganze Häuserzeile mit 11 Gebäuden und riss zehn Menschen in den Tod.

Ich fragte mich: Wann sind diese Mauern wohl entstanden? Haben sie vielleicht auch etwas mit der 1882 eröffneten Gotthardbahn zu tun? Eine kurze Recherche schaffte Klarheit: Die Mauern in der Riale della Vallascia (Foto) wurden um 1900 erstellt (Patriziato d’Airolo).

Faldumalp oberhalb von Goppenstein VS.

Modern und alt nebeneinander.

Ich erinnerte mich an einen Aufsatz über historische Lawinenschutzlandschaften. Der Autor beschrieb dabei vor allem die Schutzmauern auf der Faldumalp oberhalb von Goppenstein. Diese befänden sich teilweise in einem schlechten Zustand (.pdf-Artikel). Das Gebiet mit diesen Verbauungen lässt sich ebenfalls erwandern. Und ich war begeistert, was ich zu sehen bekam. Die Mauern entstanden nach einem Lawinenunglück während des Baus der Lötschberg-Bergstrecke ab 1910.

Im Juli 2018 erschien in der Zeitschrift «Bündner Wald» anlässlich seines 100. Todestages eine Sondernummer über Johann Coaz (Portrait TEC21), dem langjährigen Bündner Forstinspektor und ersten Eidgenössischen Forstinspektor. Ich erfuhr, dass Coaz der erste war, der in Martina in Unterengadin Trockensteinmauern in einem Lawinenanrissgebiet projektierte und erstellen liess. Es wird vermutet, dass es sich um die ersten Schutzbauwerke dieser Art im Alpenraum handelte. Von diesen ersten Mauern soll es noch unveränderte geben. Bisher fand ich die ältesten Mauern leider noch nicht, denn sie sind gut versteckt. Inzwischen ist dort nämlich wieder Wald aufgewachsen.

Auch las ich von Pontresina und den Lawinenverbauungen am Schafberg (Foto). Dort wanderte ich im Herbst 2018, und ich war überwältigt. Für ein Heft des TEC21 war ich im Herbst 2019 noch einmal dort. Der Wanderweg führt mitten durch die Trockensteinmauern, die teilweise bis an die Krete erstellt wurden (Foto 1, Foto 2).

Blick vom Schafberg auf den Piz Palü und den Piz Bernina.

Als in Pontresina die ersten Steinmauern aufgeschichtet wurden, malte Giovanni Segantini auf dem Schafberg seine letzten Bilder. Der Maler starb 1899 in der heute nach ihm benannten Hütte an einer Bauchfellentzündung und soll zuletzt gesagt haben: «Voglio vedere le mie montagne.»

Bis zum Zweiten Weltkrieg entstanden 12,5 Kilometer Trockensteinmauern. Weil diese bei viel Schnee zu wenig wirksam waren, kamen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts moderne Stützbauwerke aus Stahl hinzu (Foto 1, Foto 2). In den 1990er Jahren wurde die Permafrost-Frage aktuell. Man erkannte, dass Murgänge eine Gefahr darstellen. 2002 wurden oberhalb des Dorfes grosse Auffangdämme gebaut (Foto 1, Foto2). Eine grosse Herausforderung ist es, die alten Trockensteinmauern zu unterhalten (Foto). Und zwar nicht nur in Pontresina, sondern in der ganzen Schweiz. Bis 1940 sind in den Schweizer Alpen rund 1000 Kilometer solcher Trockensteinmauern erstellt worden.

Auf einer Wanderung vom Berninapass zur Alp Grüm nach Cavaglia stiess ich auf weitere, sehr gut erhaltene Mauern. Gian Cla Feuerstein, der Regionalleiter des Amts für Wald und Naturgefahren Südbünden, zeigte mir ein altes Bild aus dem RhB-Archiv. Eine wunderschön komponierte Aufnahme des Fotografen Albert Steiner. Diese ziert das Cover des TEC21-Heftes (.pdf-Dokument).

Bei der Alp Grüm.

Schutz der Berninalinie.

Blick ins Valposchiavo.

Weitere historische Verbauungen sind noch zu entdecken. Die nächsten alten Verbauungen, die ich besichtigen möchte, sind diejenigen in Muot an der Albulalinie zwischen Bergün und Preda.

Heft TEC21 «Leben mit Lawinen» – Alle Fachartikel (.pdf-Dokument)

 

Weitere Beobachtungen und Geschichten