Neue Wege im Rebbau

Stammerberg: Rebbau und Natur im Einklang

28. Oktober 2020 – Die Landwirtschaft und die Bauern stehen zunehmend in der Kritik. Es geht um die verursachten Umweltbelastungen. Derzeit stehen vor allem die synthetischen Pflanzenschutzmittel am Pranger. Diese bezwecken, Pflanzen vor Insekten, Pilzen oder Unkräuter zu schützen, reichern sich aber eben auch in Böden an und gelangen ins Grundwasser.

In der Schweiz haben die Stimmberechtigten nächstes Jahr Gelegenheit, über zwei Initiativen abzustimmen, die den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln respektive von Pestiziden verbieten oder stark einschränken wollen. Ungeachtet dessen, wie das Stimmvolk entscheidet, ist es völlig klar, dass die Landwirtschaft insgesamt ökologischer und ressourcenschonender werden muss.

An den Rebbau denken viele nicht sogleich. Doch gerade dort ist der Einsatz von Pestiziden oft sehr hoch. Ein Blick in die Weinregale der Läden ergibt einen klaren Befund: Bioweine bewegen sich nach wie vor in einer Nische und haben es schwer, sich zu etablieren. Doch es gibt Alternativen. Kürzlich hatte ich die Gelegenheit, einen Biobetrieb im Zürcher Weinland kennenzulernen, der auf Pestizide verzichtet, den Treibstoffverbrauch und Düngereinsatz konsequent minimiert und gleichzeitig Naturwerte fördert. Dafür braucht es Ideen, Pioniergeist, Ausdauer – und pilzwiderstandsfähige Rebsorten (PIWI).

Fredi Strasser mit seinen Helfern.

Den sogenannten PIWI-Rebsorten, die seit einigen Jahren eine Renaissance erleben, hat sich Fredi Strasser verschrieben. Ende September lud er auf den Betrieb in Stammheim ein, wo er acht Hektaren Reben mit seiner Familie bewirtschaftet. Anlass für die Einladung war die Vernissage des Buchs «Pilzresistente Traubensorten – Reben biologisch pflegen, naturreinen Wein geniessen». In diesem wird das Lebenswerk des Biowinzers am Beispiel des eigenen Betriebs dargestellt.

Das Buch ist eine wahre Fundgrube an Wissen über die Rebpflanzen und den Rebbau. Weil Fredi Strasser als Rebbauer, Lehrer und Berater mehr als beschäftigt ist, hat ihn Franziska Löpfe beim Verfassen des Buchs unterstützt. Die Fotografien stammen von. Jürg Willimann. Aus dieser Teamarbeit ist ein gelungenes Buch hervorgegangen.

Der Leser oder die Leserin findet spannende Informationen über die Reben im Jahresverlauf. Die Faszination dieser alten Kulturpflanze wirkt ansteckend. Aber auch die Geschichte des Rebbaus sowie die Folgen eingeschleppter Krankheiten aus Nordamerika und neuerdings aus Asien werden geschildert. Das Buch zeigt die Anfänge des biologischen Rebbaus auf, geht auf die Achillesferse mit dem Kupfer ein, das gegen Pilzbefall in grossen Mengen ausgebracht wurde und heute noch eingesetzt wird und sich im Boden anreichert.

Die Biowinzer stecken in einem Dilemma, denn auch sie wollen gesunde Reben und im Herbst einen guten Ertrag haben. Der Schlüssel dazu sind PIWI-Rebsorten, die auch als resistente und robuste Sorten bezeichnet werden. Viele von ihnen sind mehr als hundert Jahre alt, gerieten aber in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts n Vergessenheit, bevor sie ab 1980 wiederentdeckt wurden und dank gesetzlichen Anpassungen nun auch wieder angebaut werden dürfen. Dazu zählen die Sorten Maréchal Foch, Léon Millot, Muscat Bleu und Seyval Blanc. Alle diese Sorten entstanden aus der Kreuzung von resistenten amerikanischen Wildreben mit europäischen Kulturreben. Die Züchtung von neuen Sorten wie etwa Cabernet Jura oder Solaris hat die Palette der PIWI-Sorten in den letzten Jahren erweitert.

Schafe fressen Gras, das sonst gemäht werden müsste.

Wie ganzheitlich Fredi Strasser das Rebberg-Ökosystem betrachtet, mag das Beispiel des Haselstrauchs illustrieren. Bekanntlich blüht dieser früh im Jahr. Und er ist zentral für die biologische Regulierung von schädlichen Milben. Deren Feinde, die Raubmilben, profitieren nämlich vom energiereichen Pollen des Haselstrauchs, können ihre Populationen früh im Jahr aufbauen und dadurch die Schadmilben in Schach halten.

Ein anderes Beispiel: Die Fahrgassen zwischen den Reben sind 2,5 Meter breit. Damit kann das Fahrzeug breiter bereift werden, und man fährt nicht immer in der gleichen Spur. Das ist gut für den Boden, der biologisch aktiv sein soll, damit die Reben optimal wachsen. Mit der Gründüngung zur Anreicherung von Stickstoff, dem Mulchen und dem Pferdemist gelingt es, den Nährstoffkreislauf beinahe zu schliessen. Das Mähen übernehmen zu einem guten Teil robuste Ouessant-Schafe (Foto), Mini-Shetland-Ponys sowie Tinker-Pferde (Foto).

Permanente Netze schützen die Rebpflanzen.

Durch die Beweidung haben die seitlich an den Reben angebrachte Netze eine weitere Funktion erhalten. Sie schützen die Rebenschosse vor den Mäulern der Schafe und Ponys. Ursprünglich waren die Netze zum Schutz vor Hagelschäden angebracht worden. Sie schützen aber auch vor Wespen, die gerade im Sommer 2020 vielerorts Probleme verursachten. Sind die Netze feinmaschig genug, halten sie auch die gefürchtete Kirschessigfliege fern – so zumindest die Hoffnung. Die Netze sind ganzjährig montiert und weitherum sichtbar. Das trübt das Landschaftsbild. Und wie sich diese letztlich auf Nützlinge und das Mikroklima auswirken, muss sich zeigen (Foto 1, Foto 2).

Am Stammerberg werden auch Naturwerte gefördert. Wer durch den Rebberg wandert, erkennt das sofort. Zahlreiche Greifvögel kreisen in der Luft. Die Zusammenarbeit mit BirdLife Zürich war erfolgreich.

Entstanden sind in einem gemeinsamen Projekt Trockenmauern (Foto), ein Nistplatz für den Wiedehopf (Foto), strukturreiche Säume (Foto). Angeschnittene, sandige Böschungen bieten Nistplätze für Insekten wie Wildbienen (Foto). Man wünschte sich mehr solch artenreiche Rebberge.

Ich habe vier Flaschen Rotwein gekauft: Je eine Flasche Maréchal Foch, Léon Millot, Muscat Bleu und Planète bleue, ein Cuvée aus den robusten roten Trubensorten. Einen Wein vom Stammerberg kann man mit gutem Gewissen geniessen. Bio überzeugt. Und trotzdem bleibt etwas Wehmut: Der Pinot Noir/Blauburgunder  – die Hauptsorte der hiesigen Rotweine – scheint im Biokonzept keinen Platz zu haben. Eine Weinkarte ohne Pinot Noir? Das kann ich mir noch nicht wirklich vorstellen.

 

Angaben zum Buch:
Fredi Strasser, Franziska Löpfe, Jürg Willimann: Pilzresistente Traubensorten, Haupt Verlag

Webseite des Weinguts Strasser in Oberstammheim

 

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