Lebensraum für Fische mitten in der Stadt

Der Schanzengraben mündet in die ökologisch aufgewertete Sihl.

20. April 2018 – Wer mit dem Zug im Hauptbahnhof Zürich ankommt, ist sich kaum bewusst, dass unter den Gleisen sich ein Fluss hindurchzwängt. Danach fliesst die Sihl an Landesmuseum und Platzspitz vorbei und mündet in die Limmat.

Und kaum zu glauben – die letzte Strecke der Sihl ist ein fischökologischer Hotspot: 25 Fischarten kommen hier vor, darunter auch seltene und gefährdete Arten wie Nasen und Äschen. Und die Nasen haben sich ausgerechnet den Schanzengraben als Lebensraum ausgesucht. Die Fische halten sich dort während der Fortpflanzungszeit auf. Ob sie wirklich auch im Schanzengraben laichen, ist jedoch unklar (vgl. NZZ-Artikel).

Beim Bau der Durchmesserlinie galt es, auf die sensiblen Fischlebensräume rund um den Hauptbahnhof besondere Rücksicht zu nehmen. Ohne Eingriffe ins Flussbett ging es aber nicht. Um die Decke des neuen Bahnhofs Löwenstrasse betonieren zu können, mussten jeweils ein bis maximal zwei der fünf Durchlässe der Sihl unter den Gleisen trockengelegt werden (vgl. dazu das Bild unten – der Durchlass ganz rechts ist geschlossen). Um die erforderliche Durchflusskapazität im Hochwasserfall trotzdem zu gewährleisten, wurde die Sohle in den Durchlässen abgesenkt. Das ist nun wieder rückgängig gemacht worden. Zusätzlich ist auch die Trennmauer zwischen dem Schanzengraben und der Sihl entfernt worden. Die nun erfolgte Aufwertung der Sihl ist unter anderem eine ökologische Ersatzmassnahme für den Bau der Durchmesserlinie in Zürich.

Während der Bauarbeiten 2011 …

… und neu ohne die Trennmauer.

Die umfangreiche Renaturierung der Sihl steht kurz vor dem Abschluss. Dies nahm der WWF, der am Projekt beteiligt ist, zum Anlass, die auch aus seiner Sicht gelungenen Aufwertungsmassnahmen zusammen mit den beteiligten Partnern den Medien vorzustellen. Neben den SBB sind dies der Kanton und die Stadt Zürich.

Der Kanton ist einerseits Eigentümerin der Sihl. Andererseits lag es an den kantonalen Behörden, das Projekt zu bewilligen. Wichtig war dabei, dass der Hochwasserschutz gewährleistet ist. Zudem wurde die Mauer zwischen dem Schanzengraben und Sihl entfernt. Dies jedoch erst, als die Versuche mit einem physikalischen Modell an der Versuchsanstalt für Wasserbau der ETH Zürich keine nachteiligen Auswirkungen ergaben (vgl. auch Modellfotos – Foto 1 flussaufwärts, Foto 2 mit der Trennmauer).

Die Stadt Zürich realisiert 2020 als Abschluss der Europaallee beim Europaplatz am Sihlufer eine 70 Meter breite Ufertreppe mit 13 Stufen. Als ökologische Ersatzmassnahme für diesen Eingriff an der Sihlböschung liess sie als vorgezogene Massnahme im Rahmen der aktuellen Aufwertung am linken Ufer vor der Sihlpost mehrere Betonplatten anbringen. Unter diesen können sich Fische zurückziehen, wo sie vor dem Fischreiher und Kormoran geschützt sind.

Die wasserbaulichen Massnahmen bestehen unter anderem aus vier gekrümmten Sohlschwellen aus Natursteinen (Findlingen) sowie Kiesschüttungen. Die Wurzelstöcke im Bachbett sind fixiert und erzeugen Strömungsvielfalt. Am rechten Ufer schaffen zwei Meter lange Faschinen aus Zweigen einen verbreiterten Uferbereich, hier entstehen Ruhigwasserzonen und Lebensraum für kleine Fische. Im Flussbett gibt es nun Stellen mit grösseren und geringeren Fliessgeschwindigkeiten. Laut Ueli Schälchli von der Flussbau AG in Zürich bevorzugt die Äsche zum Ablegen der Fischeier feinen Kies, die Nase hingegen groben Kies mit grösseren Fliessgeschwindigkeiten. Eine solche kleine Schwelle oder Rauschenstrecke sei nun durch den vorhandenen Niveauunterschied bei der Einmündung des Schanzengrabens in die Sihl geschaffen worden (vgl. gekräuseltes Wasser im Bild ganz oben).

Aktuell wird im linken Durchlass eine Passage für kleine Landtiere angelegt; diese ist leicht erhöht und wird erst bei Hochwasser überflutet. Weil die Temperatur des Sihlwassers vor zwei Wochen auf über 10 Grad Celsius gestiegen war, mussten die Arbeiten im Bachbett eingestellt werden, denn die Nasen haben mit dem Laichgeschäft begonnen. Der Abschluss der Arbeiten erfolge nach der Laichzeit im Juni, sagte Schälchli.

Laut dem WWF betrugen die gesamten Projektkosten 600’000 Franken. Mit 250’000 Franken übernahmen die SBB beziehungsweise die Bauherrin der Durchmesserlinie den grössten Anteil. Der Kanton und die Stadt Zürich steuerten je 150’000 Franken bei. Und der WWF beteiligte sich mit 50’000 Franken aus dem eigenen Renaturierungsfond.

Das Projekt zeigt eindrücklich, wie selbst in einem sehr dichten urbanen Raum eine Naturoase von hoher ökologischer Qualität geschaffen werden kann. Davon profitieren nun die Fische und weitere aquatische Lebewesen. Aber auch die Menschen, die am neu gestalteten Ufer eine Verschnaufpause einlegen.

 

Weitere Fotos:
Fischunterstände (Betonplatten am Ufer) vor der Sihlpost
Gekrümmte Sohlschwelle und Faschinen 
Blick vom Platzspitz auf den HB

 

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