Der Origen-Turm auf dem Julier-Pass

Julierpass, 2284 m ü. M.: Die beiden Origen-Türme.

9. August 2018 – Diesen Sommer habe ich mit dem Velo Graubünden erkundet. Ein Höhepunkt war der Julierpass. Ich wollte über diesen wichtigen Bündner Pass fahren, weil ich vom roten Turm schon einige Fotos gesehen hatte. In diesem finden Veranstaltungen von «Origen» statt. Das von Giovanni Netzer 2006 gegründete Kulturfestival hat dieses Jahr den Wakkerpreis erhalten.

Origen bedeutet «Ursprung». Das Kulturfestival organisiert und veranstaltet Theater- und Tanzvorführungen. Das Epizentrum ist Riom, ein kleines Dorf im Oberhalbstein (auf rätoromanisch Surses). Wahrzeichen ist die monumentale Burg, die Origen im Sommer für Aufführungen nutzt (vgl. Foto). Den Wakkerpreis hat Origen zugesprochen erhalten, weil es bestehende und nicht mehr benötigte Gebäude umgebaut hat, wieder nutzt und diesen neues Leben einhaucht.

Kurz vor der Passhöhe taucht der rote Turm auf. Zuerst sieht man nur den obersten Teil, dann immer mehr, und schliesslich fährt man ganz nah an ihm vorbei. 30 Meter hoch ist er, aus Holz gebaut, rot angemalt (vgl. Foto). Mit seinen verglasten kirchenartigen Fenstern wirkt der zehneckige Turm geradezu elementar in dieser archaischen, kargen Landschaft.

Der Turm dient Origen als Spielstätte. Wir hörten ein Konzert von Vera Kappeler und Peter Conradin Zumthor. Sassen ganz oben, quasi im dritten Rang (vgl. Foto). Die kreisrunde Bühne wurde an fünf Ketten in der Mitte des Innenraums langsam heruntergelassen. Am Schluss waren die Pianistin und der Schlagzeuger ganz unten. Sie wirkten beim Schlussapplaus ganz klein und schauten zu den Zuhörern hoch.

Während dem Konzert mussten wir uns immer wieder entscheiden: Sollten wir den beiden Musikern auf der Bühne zuschauen? Oder einfach zuhören und durch die Fenster in die urtümliche Gebirgslandschaft blicken und diese in der Dämmerung geniessen? Und den Autos zuschauen, die die letzten Meter vor der Passhöhe überwanden, die Scheinwerfer wiesen ihnen dabei den Weg. Auf den Julierpass kamen die Zuhörenden mit gelben Postautos. Eines kam von Chur und der Lenzerheide, eines von den Dörfern des Surses, eines von St. Moritz.

 

Plötzlich

taucht

auf dem Julier

ein roter Turm auf …

Origen ist untrennbar mit der Person von Giovanni Netzer verbunden. Da kommt einer nach seinen Studien in seine Heimat zurück, und erklärt Riom keck zum kulturellen Nabel der Welt. Holt Kulturschaffende aus vielen Ländern für einige Wochen ins Tal. Und sie kommen. Er macht dies alles, ohne dabei die weltbekannten Bühnen der europäischen Metropolen schlecht zu machen. Und nun der Rote Turm auf Julierpass. Alain Berset ist am 31. Juli 2017 gekommen, als dieser eingeweiht worden war.

Der Turm ist stimmig, originell, anregend. In einigen Jahren wird er abgerissen. So viel ist klar: Man wird ihn vermissen. Doch das Wissen, dass er nicht für immer gebaut ist, steigert seine Einmaligkeit.

Für Dauer ist hingegen die Villa Carisch, ein stattliches Gebäude einer Auswanderer- und Rückkehrerfamilie aus Riom. Es beherbergt inzwischen ein Café und dient dem neusten Stück «Grand Riom Palace» als Kulisse. Ebenso der umgebaute Stall, die Clavadeira, die Spielstätte für das Wintertheater.

Und eben präsentierte Giovanni Netzer das neueste Origen-Projekt. In Mulegns, dort wo einst auf der 13-stündigen Reise von Chur nach St. Moritz die Pferde der Kutschen gewechselt und für den letzten, steilen Aufstieg auf den Pass anstelle von vier Pferden deren fünf vorgespannt wurden, steht das alte Posthotel Löwe. Ein Haus mit Geschichte, nur wenig verändert, aber in schlechtem Zustand. Erbaut 1870 in Zusammenhang mit dem Postkutschenverkehr, damit die Reisenden dort ihr Mittagessen einnehmen und bei Bedarf auch übernachten konnten. Der erste Knick kam, als die Albulalinie der RhB eröffnet worden war und die meisten Gäste plötzlich mit dem Zug nach St. Moritz reisten. Auch ein Anbau, der einen wunderschönen Speisesaal beherbergt, konnte den schleichenden Niedergang nicht aufhalten. Man darf gespannt sein, was Origen aus dem alten Gebäude macht (vgl. Foto).

 

Weitere Fotos:
Juliertheater: Foto 1Foto 2Foto 3
Die Burg in Riom: Foto 1Foto 2Foto 3
Villa Carisch und Wintertheater: Foto 1Foto 2Foto 3
Posthotel Löwe in Mulegns: Foto 1Foto 2Foto 3

 

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