Der bewässerte Schutzwald im Wallis

Blick auf den BLS-Schutzwald über der Bahnlinie.

14. Dezember 2020 – Es ist nicht so, dass das Wallis in meinem Studium an der ETH Zürich kein Thema gewesen wäre. Schon im erstem Studienjahr führten uns botanische Exkursionen gleich zwei Mal ins Wallis. Dabei erkundeten wir unter anderem die Pflanzen der Walliser Trockensteppe an der Lötschberg-Südrampe. Neben den Studierenden der Biologie waren auch die Pharmazeutinnen mit von der Partie.

Dass es an der Lötschberg-Südrampe seit Jahrzehnten auch einen bewässerten Schutzwald gibt, war hingegen kein Thema. Und auch im weiteren Verlauf des Forststudiums kamen wir auf den zahlreichen Exkursionen kaum einmal in den Gebirgskanton im Südwesten der Schweiz. Nach meinem Studium änderte sich das aber etwas.

Nach der Jahrtausendwende rückte das Wallis und seine Wälder vermehrt in den Fokus. Die für Schweizer Verhältnisse sehr trockenen Bedingungen zeigten die Folgen der Klimaerwärmung im alpinen Tal früher und deutlicher als anderswo. Die Wissenschaftler beschäftigten sich mit dem sogenannten Föhrensterben und dem Wachstum der trockenheitsresistenten Flaumeiche. Und sie erforschten die Waldentwicklung nach dem grossen Waldbrand im trockenen Sommer 2003 oberhalb von Leuk.

In den Gesprächen mit Forschenden von der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL hörte ich 2013 zum ersten Mal, dass es an der Lötschbergbahnstrecke zwischen Lalden und Naters einen Schutzwald gebe, der bewässert wird. Dieser hebe sich wie ein grünes Band von der Umgebung ab. Für mich war sofort klar: Diesen Wald wollte ich erkunden. Dazu kam ich aber erst 2017. Doch was ich vorfand, das war der Hammer. Und ich fragte mich: Wie kann es sein, dass ich einst Forstwissenschaft in Zürich studierte, aber erst 20 Jahre später von diesem speziellen Schutzwald erfahre?

Auf dem Wanderweg der Lötschberg-Südrampe.

Zum 100-Jahr Jubiläum der Lötschbergstrecke liess die BLS 2013 den Wanderweg der Südrampe entlang erneuern. Zudem verlängerte man diesen von Lalden bis nach Brig/Naters. Seither kann man mitten durch den bewässerten Schutzwald wandern.

Nach der Eröffnung des Lötschberg-Scheiteltunnels 1913 musste die Strecke von Goppenstein nach Hohtenn vor allem gegen Lawinen geschützt werden. Doch auch die Strecke von dort parallel dem Rhonetal entlang bis nach Brig war äusserst exponiert, so dass die BLS Schutzbauwerke erstellte, etwa Trockensteinmauern (Foto 1Foto 2). Zwischen Lalden und Naters waren die Hänge oberhalb der Bahnstrecke Anfang des 20. Jahrhunderts nahezu baumlos. Die Menschen benötigten Brennholz, und die Flächen dienten den Bauern als Wies- und Weideland.

Zusammen mit dem Bund startete die BLS 1923 ein gross angelegtes Aufforstungsprojekt. Die BLS erwarb auch Land und pflanzte bis 1936 rund 10 Millionen Bäumchen. Die Bauern bewässerten früher ihre Wiesen. Dasselbe war und ist bis heute nötig für die Bäume im Schutzwald. Die BLS übernahm mit dem Land auch die Bewässerungsrechte.

Man begann, ein riesiges Bewässerungssystem, bestehend aus Metallrohren mit integrierten Düsen, aufzubauen (Foto). Über 200 Kilometer lang ist dieses Rohrsystem. Gespeist wird es durch Wasser von den alten Suonen. Die BLS besitzt zudem eine eigene Suone, die das Wasser vom Mundbach bezieht (Foto 1Foto 2).

Bewässerungsrohre im Schutzwald.

Ein Labyrinth von Leitungen.

Wandern mit Dusche bei Berieselung?

An einem warmen Sommertag wird schnell klar, weshalb der Zugang zu Wasser für das Überleben hier essenziell ist. Im bewässerten Schutzwald sind die Bäume grösser. Es wachsen unter anderem Ahorne, Eschen und Linden (Foto). Der Wald ist dichter, und im Schatten der Bäume ist es angenehm kühl. Diese sind natürlich nicht so stattlich wie im Emmental oder im Sihlwald. Aber sie erfüllen offenbar ihren Zweck und schützen die Bahnlinie vor Steinschlag und Rutschungen.

Informationstafeln am Wanderweg beschreiben, wie bewässert wird. So wird jeweils 24 Stunden lang Wasser aus den Düsen versprüht, damit der Boden bis zu den Wurzeln durchfeuchtet wird. Zwischen April und Oktober kommt es bis zu acht Bewässerungszyklen. Das kilometerlange Berieselungssystem funktionsfähig zu halten, ist kostspielig. Doch würde nicht mehr bewässert, würden viele Bäume absterben. Dadurch nähme nicht nur die Bedrohung durch die Naturgefahren zu, auch das Waldbrandrisiko würde stark ansteigen.

Experiment mit Douglasien.

Und trotzdem ist unklar, wie dieser Schutzwald auf Dauer erhalten werden kann. Dieser war, ist und bleibt ein Experiment. Aufforstungen sind an vielen Orten im ganzen Alpenraum der Schweiz ab 1880 realisiert worden. Manche sind geglückt, andere bereiten heute Probleme. Und an der Lötschberg-Südrampe wird sogar noch bewässert. Und nicht wenig.

Somit stellen sich viele Fragen: Gibt es infolge der fortschreitenden Gletscherschmelze noch genügend Wasser zum Bewässern? Bleiben die Bäume auch gesund? Welche Baumarten können in Zukunft hier überleben? Mit diesen Fragen beschäftigt sich ein Projekt im Rahmen des Pilotprogramms zur Anpassung an den Klimawandel.

Ich habe mir vorgenommen, diesen speziellen Wanderweg in den nächsten Jahren immer wieder mal zu begehen. Um mitzuverfolgen, wie sich dieser aussergewöhnliche Schutzwald entwickelt.

 

Weitere Fotos und Informationen:

Wanderweg: Foto 1Foto 2Foto 3
Visp: Foto 1Foto 2
Waldbrandfläche von 2011 bei Visp: Foto
Naters/Brig: Foto

Zum Wanderweg an der Lötschberg-Südrampe

Dokumentarfilm «Trockenheit im Wasserschloss» mit Bezug zum Oberwallis

 

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