Auf die Schnabellänge kommt es an

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Ein Kolibri besucht eine Blüte von Heliconia tortuosa. Foto: Matt Betts

3. März 20015 / 29. März 2015 – Ein tropischer Strauch weiss zu unterscheiden: Kolibris mit langen Schnäbeln sind willkommener als solche mit kurzen. Heliconia tortuosa, ein in den Regenwäldern Mittelamerikas beheimateter Strauch der Helikonien- oder Hummerscherengewächse, besitzt schlanke, röhrenförmige Blüten. Diese sind rot-gelb gefärbt und werden von verschiedenen Kolibris besucht und auch bestäubt. Ein amerikanisches Forscherteam um Matthew Betts vom College of Forestry der Oregon State University in Corvallis konnte nun zeigen, dass Heliconia tortuosa in Bezug auf ihre Bestäuber sehr wählerisch ist. Offenbar kann die Pflanze verschiedene Kolibriarten erkennen – und das manifestiert sich in einem besseren Keimungserfolg des von den bevorzugten Kolibriarten übertragenen Pollens.

Die Erkenntnis hat eine Vorgeschichte. Sie ist sozusagen ein Nebenprodukt, so wie es in der Wissenschaft immer wieder vorkommt. Matthew Betts und seine Kollegen wollten nämlich herausfinden, ob Heliconia tortuosa in fragmentierten Regenwäldern in Costa Rica Samen bilden und sich fortpflanzen kann. Um die Frage zu klären, bestäubten sie unter anderem Blüten von Hand. Doch dies funktionierte zu ihrem Erstaunen nicht. Sie vermuteten, dass dies entweder mit der mangelhaften Qualität des Pollens zusammenhängt – oder aber, dass der Besuch von Kolibris Voraussetzung für eine erfolgreiche Befruchtung ist. Um die Hypothesen zu testen, brachten die Wissenschaftler in einer Voliere Pollen von Hand auf die Narben, liessen die Blüten von Kolibris besuchen, deren Schnäbel von jeglichem Pollen gereinigt waren. Und siehe da, die Befruchtung funktionierte.

Da der Befruchtungserfolg verschiedener Kolibriarten variierte, nahmen die Forscher sechs Kolibriarten genauer unter die Lupe. Diese unterschieden sich in der Schnabelform. Zwei Kolibriarten verfügten über lange, gekrümmte Schnäbel, die anderen über kürzere und gerade Schnäbel. In einem weiteren Experiment verwendeten die Wissenschaftler homogenisierten Pollen. Dieser sollte auf den Narben eigentlich gleich gut keimen. Doch die zwei Kolibriarten mit den langen, gekrümmten Schnäbeln waren mit insgesamt über 80 Prozent der Befruchtungen wesentlich erfolgreicher als die anderen.

Wie aber erkennt Heliconia tortuosa ihre Bestäuber? Dafür ist offenbar die Menge an aufgenommenem Nektar entscheidend. «Die mit langen Schnäbeln ausgestatteten Kolibris können mehr Nektar tiefer in der Blüte erhaschen», sagt Matthew Betts. «Aufgrund dieser Erkenntnis vermuteten wir, dass dies den Keimungserfolg des Pollen fördert». Ein weiteres Experiment bestätigte diesen Zusammenhang. Die Bestäubung von Hand, also ohne Kolibris funktionierte, sofern der Blüte gleichzeitig auch Nektar mit einer Pipette entnommen wurde.

Fragt sich, worin der Sinn des wählerischen Verhaltens der Pflanze ihren Bestäubern gegenüber liegt? Die Arten mit den langen Schnäbeln fliegen über grössere Distanzen, während diejenigen mit den kleinen Schnäbeln in einem relativ eng begrenzten Territorium leben. Da die bei der Bestäubung erfolgreichen Kolibris mobiler sind und entferntere Pflanzen der gleichen Art aufsuchen als ihre Verwandten, erhöht sich der Anteil der Fremdbestäubung. Die Gattung Heliconia verfügt über keine physiologischen oder zeitlich-räumlichen Schranken, die eine Selbstbestäubung verunmöglichen. Mit der gezielten Bevorzugung der in einem grösseren Territorium lebenden Kolibirs wird eine Selbstbefruchtung oder eine solche durch enge Verwandte weniger wahrscheinlich. Damit erhöht sich die genetische Vielfalt und die Qualität der Samen – ein Vorteil, um zu überleben. Die Kehrseite der Medaille: Die Abhängigkeit von einigen wenigen Bestäubern bedeutet auch ein Risiko, wenn deren Populationen zusammenbrechen sollten, beispielsweise aufgrund von Umweltveränderungen. Spezialisierung bringt Vorteile, aber eben auch Risiken.

Das Zusammenspiel von Heliconia tortuosa und ihren Kolibris ist ein faszinierendes Beispiel für Koevolution. Bleibt die Frage, wie genau die Pflanze die Pollenkeimung via aufgenommene Nektarmenge durch die Kolibris steuert. In der Biologie gibt es nach wie vor Geheimnisse zu entschlüsseln.

 

Many thanks to Matt Betts for the nice picture. It’s fascinating how he put the puzzle together.

 

Kurzer Film vom Blütenbesuch eines Kolibris

Medienmitteilung der Oregon State University inklusive Fotos von Blüten und Kolibris

Newsmeldung in Science mit Fotos

Originalartikel in den PNAS

 

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