Aktionsplan Biodiversität: Eine verpasste Chance

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Gelungenes Naturschutzprojekt: Die Aare mit Blick in den neuen Seitenarm bei Rupperswil (AG).

30. Januar 2015 – Bereits der Weg zur Biodiversitätsstrategie war steinig. Und nun zeichnen sich auch beim Aktionsplan Schwierigkeiten ab. Noch liegt er aber nicht auf dem Tisch.

Doch der Reihe nach. Obwohl die Schweiz das Übereinkommen über die biologische Vielfalt von Rio 1992 unterzeichnet hatte, hielt der Bundesrat es lange nicht für nötig, eine nationale Biodiversitätsstrategie ausarbeiten zu lassen. Mit einem geschickten Vorgehen gelang es Wissenschaftlern aus der Biodiversitätsszene und Naturschützern, das Parlament davon zu überzeugen, das Anliegen dennoch in die Legislaturplanung 2007–2011 aufzunehmen.

Erst im zweiten Anlauf – im Hebrst 2010 löste Doris Leuthard Moritz Leuenberger im UVEK ab – verabschiedete der Bundesrat im Frühling 2012 die «Strategie Biodiversität Schweiz». In dieser sind zehn strategische Ziele als Schwerpunkte formuliert, an denen sich die Akteure bis 2020 orientieren sollen. Die Strategie ist allerdings sehr allgemein gehalten. Deshalb beauftragte der Bundesrat das Bundesamt für Umwelt (Bafu) innerhalb von zwei Jahren einen Aktionsplan auszuarbeiten. Dieser sollte in enger Zusammenarbeit mit allen tangierten Bundesämtern der verschiedenen Departemente sowie unter Beizug von Akteuren auch ausserhalb der Bundesverwaltung erarbeitet werden.

Eines ist klar: Mit einem Aktionsplan, der über Ecken und Kanten verfügt und diesen Namen auch verdient, trampelt man in lauter «fremde» Gärten. Denn der Schutz der Biodiversität findet vorwiegend in der Fläche statt: im Wald, auf Wiesen, Weiden und Äckern, in Rebbergen, Gärten und Parkanlagen, in Bächen, Flüssen, Seen und an Ufern. Folglich hat man sich mit den Landeigentümern und all den «Zuständigen» dieser Landschaftsräume zu verständigen – eine Herkulesaufgabe.

Und prompt kommt es wieder zu Verzögerungen. Aktuell befindet sich der Aktionsplan auf dem Weg durch die Mühlen der Bundesverwaltung – und wird vermutlich zermahlen. Die Aussichten für einen griffigen und schlüssigen Aktionsplan sind alles andere als rosig. Und das Tragische an der Geschichte: Wer es sehen wollte, sah es so kommen. Es ist ein Drama. Mittlerweile auch schriftlich festgehalten im Bericht «Partizipativer Prozess zur Erarbeitung des Aktionsplans Strategie Biodiversität Schweiz: Zusammenfassender Bericht» zuhanden des Bafu.

Die Tagung des Forums Biodiversität von Mitte Januar war dem Thema «Biodiversität und Politik» gewidmet. Evelyne Marendaz, Chefin der Abteilung Arten, Ökosysteme, Landschaften beim Bafu und Mitglied der Projektoberleitung der Strategie Biodiversität Schweiz, durfte angesichts des laufenden Geschäfts die Katze nicht aus dem Sack lassen. Dennoch liess sie durchblicken, dass der Aktionsplan verwaltungsintern einen schweren Stand hat. «Was man nicht sehen wollte, steht gross auf dem Tisch», teilte sie der versammelten Biodiversitätsgemeinde mit (Download der Präsentation). Es kam einem vor, als wollte sie diese auf eine schlechte Nachricht vorbereiten. Viele der anwesenden Personen waren am partizipativen Prozess des Aktionsplanes, an dem Massnahmen zum Schutz der Biodiversität ausgearbeitet wurden, beteiligt.

Wer hätte was sehen sollen? Und was läuft hier schief?

Punkt 1: Läge der politischen Führung und dem obersten Zirkel der Bundesverwaltung der Schutz der Biodiversität wirklich am Herzen, sie hätten diesen Prozess anders organisiert. Die Projektoberleitung und Projektleiterin hätten viel weiter oben in der Verwaltungshierarchie angesiedelt und breiter abgestützt werden müssen. Ein so breites Thema wie die Biodiversität kann nicht von einer kleinen Gruppe in einem Bundesamt bewältigt werden. Der Aktionsplan hätte departementsübergreifend und unter der schützenden Hand des Bundesrates ausgearbeitet werden müssen. Frei nach Friedrich Dürrenmatt: «Was alle angeht, können nur alle lösen.»

Punkt 2: An der Tagung forderte Felix Wirz, Geschäftsführer der Ecopolitics GmbH, als eingeladener Provokateur, der fachlich ausgerichtete Aktionsplan sei mit einer «politischen Strategie» zu ergänzen. Nur so könnten die Biodiversitätsziele auch politisch durchgesetzt werden. Der Vorschlag wurde von den Bafu-Verantwortlichen zustimmend zur Kenntnis genommen. Wie ist es möglich, dass so lange nicht erkannt wurde, dass ohne politische Strategie jede Umsetzung zum Scheitern verurteilt ist?

Punkt 3: Umfragen zeigen immer wieder, dass die Menschen in der Schweiz den Zustand der Biodiversität im Allgemeinen als recht gut beurteilen – ganz im Unterschied zu den Befunden der Biodiversitätsfachleute. Wie ist diese Diskrepanz zu erklären? Entweder besteht ein Kommunikationsproblem – oder man kann die Sache unterschiedlich sehen. Oder trifft vielleicht beides zu?

Punkt 4: Immer wieder taucht die Klage auf, wie schwierig der Begriff der Biodiversität sei. Man müsse diesen herunterbrechen, er sei gar eine «Fehlgeburt», heisst es. Und das 22 Jahre nach der Konferenz von Rio! Es ist also nicht gelungen, für die Öffentlichkeit das Wesentliche herauszuschälen. Mir selber fällt immer wieder auf, wie wenig differenziert der Begriff der Biodiversität selbst in Fachkreisen verwendet wird. Kaum jemand nimmt sich beispielsweise die Mühe, die Begriffe Biodiversität und Ökosystemleistungen sauber zu trennen. Das eine hängt zwar irgendwie vom anderen ab, ist aber keineswegs dasselbe. In Vorträgen und Diskussionen wimmelt es nur so von Allgemeinplätzen. Eine löbliche Ausnahme findet sich hier.

Fazit: Mit dem Aktionsplan wurde eine Chance vertan. Wann die nächste kommt, ist ungewiss. Doch weitere Schritte werden folgen müssen, wofür aber noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten ist. Und wir müssen uns bewusst sein: Wir verlieren wertvolle Zeit – Zeit, die wir eigentlich nicht mehr haben und die uns wie Sand durch die Finger rieselt.

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Das Steilufer des neuen Seitenarms dient dem Eisvogel als Brutplatz.

Doch es gibt auch positive Beispiele. Ein gelungenes Programm zur Förderung der Biodiversität stellt etwa der Auenschutzpark Aargau dar. Dass dieser mindestens ein Prozent der Fläche des Aargaus umfassen soll, entschied die Aargauer Bevölkerung vor 20 Jahren an einer Volksabstimmung. Eine der prägenden Figuren bei der Umsetzung des Auenschutzparkes war Thomas Pfisterer, ehemaliger Regierungsrat und alt Ständerat des Kantons Aargau. An der Tagung in Bern präsentierte er Erfolgsfaktoren für die Naturschutzpolitik im Aargau und prägte das Motto «Gummistiefel statt Papier». Das Bild eines neu geschaffenen Seitenarms der Aare bei Rupperswil veranschaulicht diese Philosophie eindrücklich.

Ich hatte im Sommer 2014 die Gelegenheit, mir selber ein Bild vom Aargauer Auenschutzpark zu machen und konnte dazu einen Artikel verfassen: Der Fluss- und Auenkanton (.pdf)

 

TEC21 – 12/2010 – Der Weg zur Biodiversitätsstrategie (.pdf)

TEC21 – 21/2010 – Interview mit Claude Martin – «Biodiversität betrifft uns alle» (.pdf)

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